Der VDGH versteht GCT als ein „Jahrhundertprojekt“ der Medizin und der biomedizinischen Forschung. Es ist von zentraler Bedeutung, dass Deutschland hier einen Spitzenplatz einnimmt, sowohl in der Grundlagenforschung als auch in der Anwendung. Die Etablierung einer nationalen Strategie ist unerlässlich, um dieses Ziel zu erreichen.
Der VDGH befürwortet einen offenen Konsultationsprozess zur Entwicklung einer nationalen Strategie. Zugleich versteht sich der Verband als zentraler Stakeholder bei gen- und zellbasierten Therapien und fordert deshalb seinen dauerhaften Einbezug bei der Umsetzung des Strategieprozesses an. Die vom
VDGH vertretenen Branchen, dies sind die Life-Science-Research-Industrie und die Diagnostika-Industrie, ermöglichen mit ihren Technologien, Services und Produkten GCT entlang der gesamten Wertschöpfungskette - von der Grundlagenforschung bis zur patientenindividuellen Labordiagnostik.
Die Sicherung des Wissenschafts- und Wirtschaftsstandortes Deutschland wird als besonders relevant bewertet. Hervorragende akademische Grundlagen müssen in Deutschland gehalten und ausgebaut werden. Dabei darf die Translation der akademischen Erkenntnisse in die Wertschöpfung nicht vergessen werden, denn Translationsförderung sichert Technologien, Arbeitsplätze und damit den Wirtschaftsstandort Deutschland. Interesse und Akzeptanz für gen- und zellbasierte Therapien in der Gesellschaft setzen einen Grundstein für das Vertrauen in neuartige Therapiemöglichkeiten und müssen aus diesem Grund frühzeitig gefördert werden.
Zum Entwurf des BIH et al. vom 15. Mai 2023
Der VDGH vertritt zusammen mit der im Verband organisierten Fachabteilung Life Science Research (FA LSR) die gemeinsamen Interessen von mehr als 120 in Deutschland tätigen Unternehmen. Die LSR-Unternehmen weisen besondere Expertise in der Entwicklung und Produktion von Instrumenten, Reagenzien, Testsystemen und Verbrauchsmaterialien für die Forschung in den Lebenswissenschaften auf. LSR-Produkte sind passgenau auf die Bedürfnisse der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in der Grundlagen- und angewandten Forschung zugeschnitten. Die im VDGH vertreten Diagnostikaunternehmen produzieren Untersuchungssysteme und Reagenzien zur Diagnose menschlicher Krankheiten. Solche In-vitro-Diagnostika (IVD) umfassen in zunehmendem Umfang biomarkerbasierte und molekulargenetische Tests. Für die Entwicklung von GCT, insbesondere aber für den Einsatz an Patientinnen und Patienten sind IVD unverzichtbar. Mehr noch als im herkömmlichen Verständnis von Personalisierter Medizin und Companion Diagnostics erfordern GCT eine umfangreiche individualisierte In-vitro-Diagnostik. Die Unter-nehmen beider Branchen sind durch wissenschaftliche Kooperationen weltweit vernetzt.
Die LSR- und IVD-Branche bildet die gesamte Wertschöpfungskette von der Grundlagenforschung in den Lebenswissenschaften bis zur Routinediagnostik im ärztlichen Labor ab. Die Produkte und Expertise der Mitgliedsunternehmen stehen damit für alle Prozessschritte bei Erforschung, Entwicklung, Produktion und Anwendung von Gen- und Zelltherapien.
Zu den Handlungsfeldern
I. Vernetzung und Unterstützung der Stakeholder
Der VDGH plädiert dafür, einen dauerhaften politischen Dialog auf Spitzenebene zwischen BMBF und BMG und BMWK zu etablieren. Aktivitäten im Sinne einer Intensivierung der Forschungsförderung, der Wirtschaftsförderung (insb. Start-Ups und Mittelstand), der einzuhaltenden Regulatorik (z. B. Gentechnikgesetz), der Etablierung geeigneter Erstattungsmodelle für die Diagnostik und Therapie als GKV-Leistung sind die wichtigsten Punkte. Sie müssen frühzeitig interministeriell koordiniert werden, um zu einem wirksamen Ganzen zu werden. Auf vergleichbare Dialogformate der Vergangenheit (z.B. Nationaler Strategieprozess Innovationen in der Medizintechnik) wird verwiesen.
Die Einrichtung eines Netzwerkbüros, welches alle relevanten Stakeholder vernetzt und auch den Blick in den internationalen Raum nicht vernachlässigt, wird vom VDGH unterstützt. Das Netzwerkbüro sollte z. B. Entwicklungshindernisse aus anderen Ländern sammeln und in angepasster Form Strategien für Deutschland formulieren. Die Einrichtung einer digitalen Plattform mit Informationen zu Zeitplänen, Meilenstei-nen, GMP-Festlegungen etc. schafft Transparenz für alle beteiligten Stakeholder. So muss auch eine Beratungsplattform entstehen, um v. a. auch internationale Stakeholder bei der Interaktion mit deutschen Behörden zu unterstützen.
II. Ausbildung und Kompetenzstärkung
Der Aufbau von Aus- und Weiterbildungsprogrammen für Nachwuchs und Fachkräfte ist die Basis, um Deutschland als attraktiven Arbeitsmarkt zu sichern.
Um bessere Grundlagen zu schaffen und dem Umgang mit GCT gerecht zu werden, müssen entsprechende Themengebiete frühzeitig in Lehrpläne der universitären und technischen Aus- und Weiterbildung aufgenommen werden. Darüber hinaus fördern duale Studiengänge die weitere Verknüpfung von Industrie und Akademie. Hybride Ausbildungs- und Arbeitsmodelle erleichtern auch das Rekrutieren und Halten internationaler Spitzenkräfte.
Die im VDGH assoziierten Unternehmen verfügen über viel technologisches Knowhow, um sich aktiv an der Aus- und Weiterbildung von akademischem Personal zu beteiligen. PostDoc-Stellen, die zu 50-Prozent in Industrie und zu 50 Prozent in der Akademie angesiedelt sind, sind lösungsorientiert.
III. Technologietransfer
Der Verband bewertet den Aufbau eines Technologietransferprogramms als prioritär, um die Wertschöp-fung nach der akademischen Forschung und Entwicklung zu fördern. Nur eine Übersetzung des akademischen Erfolgs in wirtschaftliche Erfolge ermöglicht, dass Patientinnen und Patienten von innovativen und sicheren Therapien langfristig profitieren.
Dazu sollten weitere Förderprogramme der Ministerien geschaffen werden und besonders Public Private Partnerships genutzt werden, um öffentliche und private Fördermittel zu vereinen. Die deutsche Start Up-Branche leidet aktuell noch an vielen bürokratischen Hürden und ist von Finanzierungsschwierigkeiten geprägt, denn ein gesundes deutsches Kapitalökosystem fehlt.
IV. Standards und Regulatorik
Der VDGH schätzt die Entwicklung eines regulatorischen Rahmens als sehr wichtig ein, um Richtlinien für die Entwicklung, Zulassung und Überwachung von Zell- und Gentherapien festzulegen. Dem deutschen Standort mangelt es an einer bundesweiten Harmonisierung von Anforderungen im Bereich Datenschutzes und Ethik, die die Studienbedingung deutlich erschweren. Die Optimierung von klinischen Studien, z. B. Durchführung an mehreren Standorten, führt letztlich zu schnelleren Zulassungen.
Fehlende bundeseinheitliche Regulierungen schaffen Rechtsunsicherheit, wenn zuständige Landesbehörden z. B. den Begriff „Herstellen“ unterschiedlich auslegen (z. B. stellt die Gewinnung von geeigneten Zellen bei der CAR-T-Zelltherapie einen eigenständigen Prozess dar, der unabhängig vom Herstellungsprozess des Arzneimittels für neuartige Therapien ist). Auch Zulassungsverfahren müssen künftig schneller umgesetzt werden, damit der GCT-Standort Deutschland international wettbewerbsfähig ist.
Die Initiativen zu Forschungs- und Gesundheitsdatenbanken müssen weiterentwickelt werden und Genom-, phänotypische und Therapieverlaufsdaten zu GCT, müssen angeschlossen werden. Die Einrichtung einer europäischen Forschungsdatenbank fördert den Austausch internationaler Daten, was v. a. für klini-sche Studien elementar ist. Der Datenzugang muss öffentlicher und privater Forschung gleichermaßen gewährt werden.
Um frühzeitig Weichen für die GMP-konforme Produktion zu stellen, müssen auch schon in der Akademie gewisse Maßnahmen der Qualitätssicherung für z. B. Arbeitsmaterialien wie Zellkulturprodukte eingeführt werden. Dazu muss auch schon in der Grundlagenforschung die Skalierbarkeit von Methoden und Technologien berücksichtigt werden.
Generell muss darauf geachtet werden, die nationale Strategie für Deutschland in Einklang mit dem europäischen Regelwerk und dem europäischen Markt zu bringen bzw. sogar international zu harmonisieren. Aus diesem Grund ist eine Vernetzung mit weiteren Stakeholdern wie EMA, MedTech Europe, IHI Call ERD2-Konsortium und die FDA sinnvoll (vgl. Handlungsfeld I.).
V. Ausbau von Qualität und Kapazitäten im Bereich der GMP-Produktion
Das Festlegen von GMP-Kriterien muss ein elementarer Bestandteil der nationalen Strategie sein. Dies umfasst z. B. die GMP-konforme Skalierbarkeit von Prozessen oder die Qualitätssicherung mit neuen Methoden wie Next Generation Sequencing. Darüber hinaus unterscheidet sich die GMP-konforme Produktion zwischen lokalen und zentralen GCT-Produktionszentren. Die Formulierung von Standards muss dies berücksichtigen.
Notwendige Kapazitäten sollten genauestens geplant und frühzeitig angepasst werden, um den Standort Deutschland für GCT zu sichern und weiterzuentwickeln. Aktuell sind die Produktionskapazitäten für GCT in Europa eindeutig zu niedrig, um international wettbewerbsfähig zu sein.
Die Sicherstellung der Qualität und Quantität in der Lieferkette kann dazu beitragen, Engpässe zu vermeiden. So sollte auch frühzeitig auf eine Skalierbarkeit von Lieferketten geachtet werden, um Rohstoff- und Produktionskapazitäten zu sichern.
VI. Forschung und Entwicklung
Förderformate zu akademischen Erstanwendungen und zum Proof-of-Concept sind wichtig, aber es dürfen darüber hinaus geeignete Fördermaßnahmen zur Translation in die Wertschöpfung nicht vergessen werden, wie z. B. Fördermaßnahmen zur verbesserten Skalierbarkeit und Automatisierung von industriellen Prozessen.
Um Herstellungskosten zu mindern und GCT für viele Patientinnen und Patienten zur Verfügung zu stellen, müssen Automatisierungs- und Digitalisierungstechnologien für die GCT-Produktion ausgebaut und gefördert werden. Automatisierung im Bereich der Entnahme von Zellen bei Spenderinnen und Spendern über modulare Produktionstechnologien bis zur finalen Formulierung und Abfüllung des Produktes benötigen neue Entwicklungen und damit besondere Forschungsförderung. Der Entwicklungsbedarf steckt neben dem Bereich der Hardware auch in dem Bereich von Softwarelösungen. Für die eigentliche Produktion von GCT und die damit verbundenen Daten müssen zukünftig Technologien wie z. B. integrierte Prozesskontrollen, Prozessbegleitung mittels „Digitalem Zwilling“ oder die Analyse sowie Prozesssteue-rung mittels KI berücksichtigt werden, um das volle Automatisierungspotential auszuschöpfen.
Der VDGH regt an, Abschnitt VI. e) als eigenes Handlungsfeld zu formulieren oder hilfsweise in den Abschnitt VII. zu integrieren.
Die im VDGH vertretenen Hersteller von In-vitro-Diagnostika verfügen über umfassende Expertise bei biomarkerbasierten und molekulargenetischen Tests. Die Unterstützung des Aufbaus/ die Verbesserung von Strukturen für Companion Diagnostics – besser therapiebegleitende Diagnostika – das Monitoring und die Nachsorge von Patientinnen und Patienten wird ausdrücklich begrüßt. Nach Auffassung des VDGH geht die therapiebegleitende Diagnostik zum Erkennen geeigneter Empfänger einer GCT über den Begriff der klassischen Companion Diagnostics (CDx) hinaus. Klassische CDx, wie sie beispielsweise in der Onkologie genutzt werden, lassen Patientengruppen erkennen und stratifizieren Behandlungsprozesse, wohingegen Diagnostik für GCT individualisiert für eine einzelne Person anwendbar sein soll. Aktuelle Regelungen für CDx sind in der europäischen IVD-Verordnung (IVDR 2017/746) verankert und äußerst komplex sowie zeitintensiv in der Genehmigung. Die herkömmlichen Erstattungsmodelle für Begleitdiagnostik sind für eine individualisierte Diagnostik bei GCT vermutlich unzureichend; hier ist eine genauere Analyse und die Erwägung alternativer Modelle erforderlich.
VII. Übergang in die Versorgung
GCT werden in der Regel für kleine Patientenpopulationen zugelassen und die Kostenabdeckung für Behandlungszentren ist aktuell unzureichend. Vergütungsmodelle für GCT müssen der Besonderheit von neuartigen Therapien Rechnung tragen, und damit gänzlich neu gedacht und geschaffen werden, denn heutige Verfahren der ärztlichen Selbstverwaltung sind nicht auf GCT zugeschnitten. Neben der Therapie sind auch neue Schritte in der Diagnostik zu beachten: Neben der Erstdiagnostik ist die Qualitätskontrolle der genetischen Veränderung nach Applikation und das längerfristige Therapiemonitoring für eine erfolgreiche Therapie unverzichtbar. Auch Entwicklungs- und Produktionsprozesse, die durch Life-Science-Rese-arch-Technologien umgesetzt werden, müssen leistungsgerecht in Vergütungsmodellen berücksichtigt werden. Dann können die Kosten für GCT perspektivisch sinken.
VIII. Interaktion mit der Gesellschaft
Dieses Handlungsfeld muss priorisiert umgesetzt werden. Interesse und Akzeptanz für GCT müssen in der Gesellschaft frühzeitig geschaffen werden, um einen Grundstein für das Vertrauen in neuartige Therapiemöglichkeiten künftiger Generationen zu legen. Ausgangspunkt könnte nach Auffassung des VDGH eine breit angelegte Informations- und Aufklärungskampagne der Bundesregierung sein. So kann beispielsweise eine anschauliche und niedrigschwellige Kommunikation von Erfolgsgeschichten die Akzeptanz der Bevölkerung für GCT erhöhen.
Zu den offenen Fragen
Gibt es aus Ihrer Sicht weitere grundlegende Handlungsfelder, die in der Ausarbeitung der na-tionalen Strategie berücksichtigt werden sollten? Wenn ja, welche?
Diagnostik als eigenes Handlungsfeld (siehe zu Abschnitt VI.)
Das avisierte Gesundheitsdatennutzungsgesetz und das Forschungsdatengesetz sind wichtige Gesetzgebungsverfahren, die Relevanz für die nationale GCT-Strategie haben. Es ist wünschenswert, die Ausgestaltung dieser Gesetze und deren Bedeutung für GCT als eigenständiges Handlungsfeld zu definieren.
Sollten weitere Schwerpunkte über die bislang skizzierten Aspekte hinaus in die aufgeführten Handlungsfelder integriert werden? – Wenn ja, welche?
Perspektivisch sollten Therapiemöglichkeiten auch im ambulanten Bereich umgesetzt werden. Dazu können z. B. Satellitenzentren eingerichtet werden, die sich auf GCT spezialisieren. So wird die Zahl der therapierten Patientinnen und Patienten steigen und die Krankenhausbelastung wird gleichzeitig verringert.
Deutschland benötigt umfangreiche Leuchtturmprojekte, wie beispielsweise das Berliner Zent-rum für Translation, denn Technologiestandorte in Deutschland müssen eine kritische Größe übersteigen, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Entsprechende Zusammenschlüsse und Cluster müssen vermehrt gefördert werden.
Mit zunehmender Etablierung von GCT gewinnen Fragen der Skalierbarkeit von Produktion und der Automation von Labor- und Produktionsprozessen an Bedeutung.
Gibt es innerhalb der Handlungsfelder Aspekte, bezüglich derer Sie unterschiedliche Prioritä-ten in der Ausgestaltung und Umsetzung sehen?
Welche potenziellen Herausforderungen in der Zeitlinie, Ausarbeitung und Umsetzung der na-tionalen Strategie sollten aus Ihrer Sicht über die in den beigefügten Dokumenten adressierten Punkte hinaus berücksichtigt werden?
Zeitnahes Aufsetzen eines dauerhaften Strategiedialogs zwischen BMBF, BMWK und BMG (siehe zu Abschnitt I.)
Gibt es aus Ihrer Sicht über die bisher einbezogenen Stakeholder hinaus Adressaten/Akteure, die in die weitere Diskussion einbezogen werden sollten? – Wenn ja, welche?
Der VDGH ist derzeit noch nicht explizit in der Stakeholderliste (Anhang zum BIH-Papier) enthalten und bittet um Aufnahme.
Etwa 30 Life-Science-Research-Unternehmen sind als Fachabteilung im VDGH organisiert. Als Forschungszulieferer unterstützen sie die Ausbildung, Forschung und Entwicklung, translationale Arbeiten, Skalierung, Versuche, Logistik und Herstellung sowie die begleitende Diagnostik. Die Branche ist auch in der Lage, die GCT-Gemeinschaft in Deutschland und Europa als Berater mit weltweiter Erfahrung in diesem Bereich zu unterstützen.
Die VDGH-Mitgliedsunternehmen (insgesamt ca. 120 Unternehmen) mit Fokus auf IVD-Produktion, sind führend in der Herstellung von biomarkerbasierten und molekulargenetischen Tests und unterstützen somit durch begleitende Diagnostik, Prognostik, Therapiemonitoring und Nachsorge die Versorgung von Patientinnen und Patienten.