Während der Geltungsbeginn der neuen europäischen Medizinprodukte-Verordnung (MDR) von Mai 2020 auf Mai 2021 verschoben wurde, soll die neue europäische IVD-Verordnung (IVDR) der ursprünglichen Planung folgend weiterhin zum 26.05.2022 in Kraft treten. Bei der Umsetzung des neuen regulatorischen Rahmens sind die Hersteller auf die frühzeitige Bereitstellung der Infrastruktur und der detaillierten Vorgaben angewiesen, da die (Re-)Zertifizierung der Tests zeitaufwändig ist. Hier ist es im Zuge der Corona-Pandemie zu deutlichen Verzögerungen gekommen. Eine Verschiebung auch der IVD-Verordnung ist daher dringend angezeigt.
Ein Jahr vor Inkrafttreten ist die erforderliche Infrastruktur nicht in Sicht:
- Politische Entscheidungsträger und Behörden richten notgedrungen ihre gesamten Anstrengungen auf die Bekämpfung der Pandemie aus. Die zur Implementierung der IVD-Verordnung erforderlichen Priorisierungen und Ressourcen fehlen insofern.
- Die Verschiebung der MDR um ein Jahr war richtig, verschärft aber die Problematik für In-vitro-Diagnostika. Denn mit dem konsekutiven Geltungsbeginn im Abstand von zwei Jahren war eine Entzerrung der vielfältigen Systemumstellungen beabsichtigt. Nun ist zu befürchten, dass die Bugwelle der MDR-Implementierung die Vorbereitungen zur Implementierung der IVDR massiv unter Druck setzt. Ressourcen der Behörden und Benannten Stellen stehen aber nicht doppelt zur Verfügung.
- Von den bisher über 20 Benannten Stellen in Europa sind aktuell nur vier unter den Regularien der IVDR anerkannt. Die künftige IVDR ist anders als die fortentwickelte MDR eine weitestgehende Neufassung. Während aktuell etwa 15 Prozent aller In-vitro-Diagnostika von einer Benannten Stelle zertifiziert werden, sind dies künftig fast 90 Prozent. Eine sechsfache Zahl von Produkten trifft also auf eine um 80 Prozent reduzierte Anzahl von Benannten Stellen.
Die verbleibende Zeit bis Mai 2022 wird nicht mehr ausreichen, um das Inverkehrbringen diagnostischer Tests nach den neuen rechtlichen Vorgaben und unter Einbindung einer Benannten Stelle zu bewerkstelligen. Dies wird Auswirkungen auf die flächendeckende Gesundheitsversorgung mit Diagnostika haben. Besonders kritisch ist die Situation für hochrelevante Versorgungsbereiche wie die Personalisierte Medizin und die Infektionsdiagnostik. Aber auch Routinediagnostika, die zur täglichen Patientenversorgung millionenfach benötigt werden, sind in Gefahr.
Diagnostika-Unternehmen brauchen jetzt Planungssicherheit, um den deutschen und europäischen Markt mit allen benötigten Tests bedienen zu können. Eine politische Entscheidung über den Geltungsbeginn der IVDR muss im ersten Halbjahr 2021 getroffen werden.
Im Kampf gegen die COVID-19-Pandemie sind politische Entscheidungen ebenso erforderlich wie die schnelle Verfügbarkeit elementarer und wirksamer Waffen gegen die Pandemie (Impfstoffe, Arzneimittel, Tests, Schutzausrüstung). Es zeigt sich, dass beschleunigte Zulassungsverfahren geeignet sind, entsprechende Produkte in der geforderten Qualität der Gesundheitsversorgung zur Verfügung zu stellen, wenn Eile geboten ist. Notfall- oder Sonderzulassungen sind explizit für solche Umstände vorgesehen. In Deutschland ist die Bereitschaft, schnelle Zulassungsprozeduren zu realisieren, vergleichsweise wenig ausgeprägt. Insbesondere für das patientennahe Testen und für Tests zur Eigenanwendung wird angeregt, die regulatorischen Vorgaben kritisch zu prüfen und zu entbürokratisieren.