Diagnostica-Forum 2015

Das Diagnostica-Forum des VDGH am 29. Januar 2015 stand ganz im Zeichen der Prävention und Früherkennung. Neun Referenten aus Medizin, Selbstverwaltung, Politik und Industrie sowie eine Diskussionsrunde rund um das Thema Präventionsgesetz waren Inhalte einer abwechslungsreichen und gehaltvollen Veranstaltung, die im Hotel Maritim proArte in Berlin stattfand.

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Dr. Martin Walger begrüßt die Förderung des Impfwesens im Rahmen des Präventionsgesetzes (Foto: Schacht)

VDGH-Vorstandsmitglied Dr. Jürgen Schulze begrüßte die Teilnehmer und kennzeichnete das Diagnostica-Forum als Diskussionsplattform für Politik, Wissenschaft und Industrie. Es folgte ein spannender Tag mit hochkarätigen Referenten und Vorträgen. Im ersten Teil des Programmes lag der Themenschwerpunkt auf dem Wert der Prävention, Früherkennung und Screening. Dazu kamen drei Referenten zu Wort, die den Wert der Früherkennung an den Beispielen Neugeborenen-Screening, Darmkrebsvorsorge und Zervixkarzinom aus eigener Praxis und eigenen Studien und Erhebungen veranschaulichen konnten. So schilderte Prof. Dr. Georg F. Hoffmann von der Universitätsmedizin Heidelberg und Sprecher der Screeningkommission der Wissenschaftlichen Fachgesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin in Deutschland (DGKJ) Erfolge und Herausforderungen beim Neugeborenenscreening: „Wir retten mit Labordiagnostik 700 – 800 Kinder und Familien pro Jahr. Viele Krankheiten sind bei rechtzeitiger Diagnosestellung erfolgreich behandelbar.“ Zu diesem Ergebnis kommt auch Prof. Jürgen F. Riemann, Direktor der Medizinischen Klinik C am Klinikum der Stadt Ludwigshafen und Vorsitzender der Stiftung LebensBlicke. Er betonte die Notwendigkeit und Bedeutung eines organisierten  Screeningverfahrens beim Darmkrebs und zeigte dabei die Erfolge der Früherkennung auf, die vor allem im Zusammenhang mit einer Koloskopie erreicht werden. Dennoch ist die Darmspiegelung für viele Menschen noch ein Hindernis, wie Experten inzwischen erkannt haben. Riemann stellte verschiedene moderne, hochsensitive Labortests vor, die in der Darmkrebsfrüherkennung zum Einsatz kommen können: „Tests sind für die Patienten angenehmer und können eine Möglichkeit für sie sein, mit dem Thema Darmkrebsfrüherkennung leichter umzugehen.“ Riemann stellte jedoch auch fest, dass neueste Erkenntnisse belegen, dass die Früherkennung für Männer um zehn Jahre vorverlegt werden müsste, um erfolgreicher zu sein. Ähnlich wie Darmkrebs ist das Zervixkarzinom (Gebärmutterhalskrebs) ebenfalls eine Krebsart, die lange braucht, um zu entstehen. Auch sie ist durch eine geregelte Früherkennung gut therapierbar. Hierzu gab Prof. Karl Ulrich Petry vom Klinikum Wolfsburg einen Überblick über die Ergebnisse der Studie WOLPHSCREEN, die 2006 bis 2011 am Klinikum Wolfsburg durchgeführt wurde. Rund 20.000 Frauen wurden in diesem Zeitraum engmaschig gescreent, um einen Zusammenhang zwischen dem Nutzen einer Früherkennung mit Hilfe des HPV-Tests sowie des Pap-Abstriches zu belegen. „Das Screening hatte unter den Frauen eine hohe Akzeptanz“, sagte Petry. „Ein Zervixkarzinom braucht sieben Jahre, um zu entstehen.“ Auch zeigte sich, dass das Stadium CIN III bereits eine irreversible Krebsvorstufe ist. Mit Hilfe eines HPV-Screenings und des zytologischen Abstriches konnten auch schwer identifizierbare oder versteckte Karzinome und Vorstufen entdeckt werden. „Dies zeigt uns, dass wir nicht nur hochmoderne Tests, sondern auch ein besonderes Training für die effektive Nutzung des Tests benötigen“, so Petry. Aber: Nur wenige Tests, die derzeit auf dem Markt sind, offenbarten sich in der Studie als effizient und zuverlässig genug“, sagte Petry.

So wird sich auch vom Präventionsgesetz vieles erhofft. MdB Rudolf Henke stellte den aktuellen Stand der Gesetzgebung vor. In einer von Holger Paul (FAZ) moderierten Runde mit Anne-Kathrin Klemm vom BKK-Dachverband, Wolfgang Meunier vom Deutschen Hausärzteverband, Dr. Martin Walger (VDGH) und Prof. Jürgen F. Riemann wurde die Präventionstauglichkeit des Gesetzesvorhabens diskutiert. So sollen u.a. die Früherkennungsuntersuchungen für Kinder, Jugendliche und Erwachsene zu präventionsorientierten Gesundheitsuntersuchungen weiterentwickelt und auch der derzeitige Ausgabenrichtwert von 3,09 Euro auf 7 Euro angehoben werden, so dass die Krankenkassen künftig jährlich mindestens rund 490 Millionen Euro in Leistungen zur Gesundheitsförderung und Prävention investieren können. Die Vertreter der Kassen begrüßen die Lockerung der Quotierung, sehen sich aber in ihrer Funktion als regionaler Gesundheitslotse für die Bürger zurückgedrängt. Zudem zweifeln sie eine Akzeptanz der Präventionsförderung, insbesondere in der jungen Bevölkerung, an. Auch die Hausärzte sehen sich als wichtiger Präventionsscout in der Versorgung: „Hausärzte sehen den Patienten als Ganzes und berücksichtigen auch seine Familienanamnese. Unsere Erfahrung ist ein wichtiges Werkzeug.“ Meunier kritisierte ebenfalls, dass es kein geregeltes Vorsorge-Einladungsverfahren gibt. Zudem sollte auch ein laborchemisches Screeningverfahren eingeführt und die Vorsorge insgesamt neu geordnet werden, so Meunier. „Der Arzt wird vom System zum reinen Reparaturbetrieb degeneriert.“

Der VDGH begrüßte zunächst die Primär- und Sekundärpräventionsvorschläge des Gesetzesvorhabens. Auch begrüßt der Verband die Beauftragung des G-BA, für die Darmkrebs- und Gebärmutterhalskrebsfrüherkennung ein organisiertes Einladungsverfahren zu entwickeln zu lassen Der Verband hatte bereits dazu ausführlich Stellung bezogen. Walger mahnte in der Runde jedoch an, dass das Gesetz vor allem im Hinblick auf die Volkskrankheit Diabetes sowie auf den mittlerweile gealterten „Check up 35“, dessen Laborparameter seit 25 Jahren unverändert geblieben sind“ konkreter werden müsse. „Hier sollte geprüft werden, ob die Parameter dem modernen Standard entsprechen“, so Walger. Ebenso sei die Beratungszeit im Gemeinsamen Bundesausschuss von mittlerweile 11 Jahren zur Einführung des HPV-Tests nicht mehr vermittelbar“, sagte der VDGH-Geschäftsführer.

Das Diabetes, Adipositas und das Thema „Lebenswelten“ in die Gesetzgebung einwirken soll, war ein weiterer Diskussionspunkt. „Auf Europa schwappt eine Fettleibigkeitswelle zu“, sagte Prof. Jürgen Riemann. Er argumentierte, dass eine Erziehung zu gesunder Ernährung schon bei jungen Menschen in Schulen und Kindergärten beginnen solle, um gesundheitsbewusstes Essensverhalten zu fördern. Dies könne der Grundstein sein, um Übergewicht und Folgeerkrankungen wie Diabetes entgegenzuwirken. Er verwies u.a. auf das Projekt „Abenteuer Essen“, dass im Herbst 2014 in Kindertagesstätten der Rhein-Neckar-Region gestartet ist und das auf große Akzeptanz stößt. „Solche Projekte könnten vom Präventionsgesetz gefördert werden“, sagte Riemann.

Rudolf Henke räumte zu den Argumenten ein, dass bei den existierenden Früherkennungsprogrammen, wie z.B. beim Check up 35, Weiterentwicklungen nötig seien, die jedoch evidenzbasiert sein müssten. Zudem sei das Präventionsgesetz keine Regieanweisung und könne die Verantwortung des Einzelnen für seine Gesundheit nicht abnehmen. Es könne jedoch mehr Instrumente zur Verfügung stellen, um bestehende Maßnahmen  überprüfen und verbessern zu können.

Ein weiterer Schwerpunkt des Präventionsgesetzes ist die Förderung der Prävention im Betrieb. Hier gab der Abschnitt „Trends und Technologien“ des Forums neue Einblicke. Dazu stellte Dr. Natalie Lotzmann, Chief Medical Officer (SAP) in ihrem Vortrag „Individualisierte Krebsanalysen und Betriebliche Gesundheitsförderung – Das Beispiel SAP“, das Projekt COPE vor, dass ihr Unternehmen gemeinsam mit den Partnerfirmen GAT und Molecular Health im vergangenen Jahr aufgesetzt hatte. In diesem Vorreiterprojekt bietet ein Unternehmen (SAP) erstmals seinen an Krebs erkrankten Mitarbeitern mit Hilfe der sogenannten NGS-Technologie (Next Generation Sequencing) eine genetische Tumordiagnostik an, dessen Ergebnis die behandelnden Ärzte für ihre Therapieentscheidung berücksichtigen können. „Dieses Angebot datenschutzrechtlich abzusichern war die größte Herausforderung“, sagte Lotzmann. Aber das Projekt ist wasserdicht: „Die Daten gehören dem Patienten“, so die SAP-Managerin. Auf dieses Diagnostik-Angebot können in Zukunft auch andere Unternehmen in Deutschland zugreifen, SAP stellt dazu sein Know How für interessierte Firmen bereit.

Weiterer Gastredner war Prof. Ulf Göbel von der Charité Universitätsmedizin in Berlin. Sein Vortrag „Den Herausforderungen begegnen: Automation und neue Technologien in der klinischen Mikrobiologie“ gestaltete sich vor dem aktuellen Hintergrund tödlicher multiresistenter Keime am Uniklinikum Kiel. Göbel zeigt auf, weshalb vor allem alte Menschen durch die Besiedelung von Keimen im Krankenhaus so gefährdet sind und stellte gleichzeitig hochsensitive und leistungsstarke Labortechnologien vor, die die Befundlaufzeiten optimieren. Dennoch, so Göbel, bedürfe es bei solchen Geräte zudem besonders geschultes Personal: „Ohne dies steht ein Porsche in der Garage, der seine ganze Leistung nicht entfalten kann, weil die richtige Fahrbahn fehlt.“

Der dritte Teil der Veranstaltung widmete sich u.a. Fragen zur Vergütung von Laborleistungen. Dazu erläuterte Dr. Dieter Auch von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung Änderungen im EBM 2015. Kritische Nachfragen aus dem Publikum gab es zu dem Beschluss der EBM-Vertragspartner, die Indikationsstellung für den DNA/mRNA-Nachweis von High-risk-HPV-Typen zum 1.4.2015 einzuschränken.

Im Gegenzug gab Dr. Andreas Bobrowski vom Berufsverband Deutscher Laborärzte einen Überblick über die Anforderungen an die Vergütung aus Sicht der Laborärzte. Seine grundsätzliche Kritik: „Laborärzte halten das System am Laufen, werden aber bei der Budgetverteilung nicht berücksichtigt – hier wird an der falschen Stelle gespart.“

Auch die IVD-Verordnung war ein Thema auf dem Diagnostica-Forum 2015. Dazu brachte Dr. Thomas Mall, Vorsitzender des Ausschusses Regulatory Affairs beim VDGH, den Zuhörern den aktuellen Sachstand aus Brüssel nahe. Das Schlusswort des Tages hatte der stellvertretende Vorsitzende des VDGH, Ulrich Schmid. Er verwies auf den großen Nutzen der Branche, die zum größten Teil aus kleinen und mittelständischen Unternehmen besteht, für die Gesellschaft insgesamt,: „Mit gut zwei Milliarden Euro Umsatz gehört die IVD-Industrie zu den sogenannten „Hidden Champions“ der Industrie. Wir wollen an der Wertschöpfung gemessen werden, die wir bieten können.“

Hier geht es zum Tagungsband (alle Präsentationen auf einen Blick)

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