IVD-Verordnung: "Ein Urinbecher gehört in die niedrigste Risikoklasse"

Berlin, 16.02.2016 - "Wir unterstützen alle Vorschläge in Brüssel, die eine höhere Produkt- und Patientensicherheit für Medizinprodukte bewirken. Zugleich plädieren wir dafür, genau hinzusehen und das Augenmaß für Details nicht zu verlieren", sagt Dr. Martin Walger, Geschäftsführer des Verbandes der Diagnostica-Industrie heute in Berlin.

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Von links: Dr. Martin Walger, Dr. Matthias Dettloff  und Dr. Peter Liese, Foto: VDGH

Anlass war das Pressegespräch „Sicherheit von Medizinprodukten und In-vitro-Diagnostika (IVD) in der EU“ des gesundheitspolitischen Sprechers der EVP-Fraktion im Europäischen Parlament, Dr. Peter Liese.

Die Verhandlungen zwischen der Kommission, dem Europaparlament und dem Rat unter der Präsidentschaft der Niederlande gehen nach mehr als 40 Monaten Beratungen in die entscheidende Phase. Liese ist zuversichtlich, dass ein Abschluss vor der Sommerpause erfolgt. Am Ende stünde ein neues europäisches Medizinprodukterecht mit zwei getrennten Verordnungen für Medizinprodukte und für In-vitro-Diagnostika. Liese, der auch Berichterstatter des Europäischen Parlaments für die neue IVD-Verordnung ist, betont: „Das Ringen um die richtigen Lösungen ist schwierig. Labortests haben ein geringeres Risiko als z. B. Implantate. Dies rechtfertigt eine eigenständige rechtliche Grundlage. Aber auch hier besteht Bedarf, insbesondere die Marktüberwachung für in den Verkehr gebrachte Produkte zu verbessern.“

Sollten sich am Ende die Vorstellungen des Rates durchsetzen, so wird an den Erfordernissen der Patientensicherheit teils vorbeireguliert und die Diagnostikabranche mit überflüssiger Bürokratie belastet, befürchtet der VDGH. „Ein Urinbecher würde in dieselbe Risikoklasse gestuft, wie ein Syphilistest. Das ist absurd“, sagt Walger. Insgesamt wird sich der Anteil der Produkte, bei denen eine Benannte Stelle als externe Prüforganisation einzuschalten ist, deutlich erhöhen. Hintergrund ist ein neues System der Produktklassifizierung mit daran anknüpfenden Konformitätsbewertungsverfahren. Für den VDGH ist auch die Ausweitung der vom Rat geforderten klinischen Studien nicht nachvollziehbar: „Auf den direkten Einbezug von Patienten kann bei vielen Studien verzichtet werden. Denn um zu prüfen, ob ein Diagnostikum richtig misst, reichen auch Tests mit Proben aus der Biobank“, so Walger. Der VDGH verweist auf seine aktuelle Branchenumfrage. Danach gehen mehr als ein Drittel der deutschen Diagnostikaunternehmen davon aus, Produkte angesichts höherer Anforderungen für klinische Studien aus ökonomischen Gründen vom Markt nehmen zu müssen. Der Ratsbeschluss verschärft nach Einschätzung des VDGH die Vorschläge der Kommission und des Parlaments erheblich: „Der Verordnungstext wächst auf das Siebenfache des heutigen Seitenumfangs“, kritisiert Walger. „Eine neue Verordnung auf dieser Basis würde die Industrie europaweit und über den Zeitraum von fünf Jahren mit rund 2,2 Milliarden Euro Mehrkosten belasten“.

Bei der Umsetzung des neuen Medizinprodukterechts plädiert der VDGH für ausreichende Übergangsfristen. „Nicht nur die Hersteller, sondern vor allem die Benannten Stellen als Prüfinstitutionen brauchen Zeit, sich auf die wesentlich komplexeren Verfahrensanforderungen einzustellen“, sagt Walger. Die Herausforderungen für das neue Regelwerk sind groß. Auch der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) fordert u. a. mehr Transparenz auf Herstellerseite, genau definierte Marktzugangsregeln sowie ein stärkeres Gewicht für die klinische Bewertung der Produkte. „Sind diese Erfordernisse erfüllt, finden Innovationen auch Zugang zum Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen“, sagt Dr. Matthias Dettloff vom GKV-Spitzenverband.

Trotz bestehender Hürden zeigt sich der Europaabgeordnete Peter Liese optimistisch: „Wir sind inzwischen auf der Zielgerade und hoffen, dass im Frühsommer bereits eine europaweit gültige Medizinprodukteverordnung in Kraft treten kann.“

Der Verband der Diagnostica-Industrie (VDGH) vertritt als Wirtschaftsverband die Interessen von 97 Unternehmen mit einem Gesamtumsatz von rund 4 Milliarden Euro. Sie stellen Untersuchungssysteme und Reagenzien zur Diagnose menschlicher Krankheiten her, mit denen ein Umsatz von 2,2 Milliarden Euro erzielt wird, sowie Instrumente, Reagenzien, Testsysteme und Verbrauchsmaterialien für die Forschung in den Lebenswissenschaften, mit denen ein Umsatz von 1,8 Milliarden Euro erwirtschaftet wird.

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