MDR & IVDR Sofortmaßnahmen zur Sicherstellung der Patientenversorgung unter der MDR & IVDR

Im Jahr 2017 hat der Gesetzgeber mit der Einführung der Verordnungen (EU) 2017/745 über Medizinprodukte (MDR) und (EU) 2017/746 über In-vitro-Diagnostika (IVDR) den europäischen Rechtsrahmen für Medizinprodukte und In-vitro-Diagnostika grundlegend neu gestaltet. Als Grundsatz wurde vereinbart, dass ein solider, transparenter, berechenbarer und nachhaltiger Rechtsrahmen entstehen soll, welcher ein hohes Niveau an Sicherheit und Gesundheitsschutz gewährleistet und gleichzeitig innovationsfördernd wirkt.

Zwischenzeitlich wurde der Geltungsbeginn der MDR um ein Jahr auf Mai 2021 verschoben. Zur IVDR wurde eine Änderungsverordnung beschlossen, die zwar nicht den Geltungsbeginn verschiebt, aber gestaffelte Übergangsregelungen beinhaltet. Diese Maßnahmen sollen die Patientenversorgung auch nach Geltungsbeginn der Verordnungen gewährleisten. Aber das regulatorische System (Benannte Stellen, regulatorische Infrastruktur, Europäische Datenbank, Referenzlaboratorien, Guidance-Dokumente, sekundäre Rechtsakte, usw.) ist jeweils noch nicht so weit aufgestellt, dass ein reibungsloser Übergang von den Richtlinien zu den neuen Verordnungen stattfinden könnte. Zudem hat die Bewältigung der COVID-19-Pandemie in erheblichem Umfang Ressourcen absorbiert. Die oben skizzierten Maßnahmen haben ein dynamisches System zur Folge, welches einer stetigen Anpassung unterliegt.

Die Hersteller begrüßen die o.g. Amendments. Trotz des geänderten Zeitrahmens bleiben akute Probleme bestehen. Es besteht dringender Handlungsbedarf, um den reibungslosen Ablauf der Implementierung zu garantieren und die Patientenversorgung weiterhin sicherzustellen.

1. Ausbau der Kapazitäten der Benannten Stellen

Verglichen mit der Kapazität der Benannten Stellen unter den bisherigen Richtlinien, sind die aktuell vorhandenen Kapazitäten unter der MDR und IVDR erheblich niedriger. Dies ergibt sich einerseits aus der wesentlich geringeren Anzahl der Benannten Stellen (für Medizinprodukte: knapp 50 %; für IVD: knapp 30 %) und andererseits aus dem deutlich erhöhten Aufwand für Prüfungen und Audits, dem erhöhten Aufwand innerhalb kürzerer Zeiträume durch die Übergangsfristen sowie aus der stark erhöhten Zahl von Produkten, bei denen die Einbindung einer Benannten Stelle erforderlich ist. Daher müssen

  • die Kapazitäten der Benannten Stellen weiter massiv ausgebaut und das Joint- Assessment-Verfahren für Neubenennungen aber auch Re-Assessments beschleunigt werden, 
  • Anreize für Neuanträge von Benannten Stellen gesetzt werden, 
  • alle Hersteller gleichermaßen Zugang zu Benannten Stellen haben. 

2. Zielgerichteter Einsatz der vorhandenen Ressourcen im System

Parallel zur Erhöhung der Kapazitäten sind die aktuell real vorhandenen Ressourcen besser und gezielter zu nutzen. Die Prioritäten sollten auf QMS-Audits und den Review Technischer Dokumentationen unter der MDR/IVDR gesetzt werden. Dies kann durch die folgenden Maßnahmen umgesetzt werden:

  • Die Bewertungstiefe orientiert sich an der Klasse und der Neuartigkeit eines Produkts. 
  • Bürokratische Hürden für nicht signifikanter Änderungen für Legacy Produkte müssen abgeschafft werden. Für Scope Extension Audits und für die Überführung langjährig auf dem Markt befindlicher und sicherer Bestandsprodukte in die neuen Verordnungen müssen pragmatische Lösungen gefunden und umgesetzt werden. Dies kann durch eine stärkere Gewichtung von Post-Market-Daten, Anerkennung klinischer Praxis und des Ähnlichkeitsprinzips, Verschlankung von Konsultationsprozessen und Zertifikatsausstellung unter Auflagen erfolgen.
  • Implementierungshilfen wie MDCG-Guidance-Dokumente werden einer Impactanalyse unterzogen, um sicherzustellen, dass sie keine (bürokratische) Mehrbelastung in den Verfahren darstellen.
  • Es werden harmonisierte und europaweit gültige Sonderregelungen für Nischenprodukte geschaffen.

3. Innovationen in den Markt bringen

Die Medizintechnikbranche (MD und IVD) leistet durch Innovationen einen wesentlichen Beitrag für die Gesundheitsversorgung in Deutschland. Bislang floss in der Branche rund 10 % des Umsatzes in die Forschung und Entwicklung. Derzeit gestaltet sich das Inverkehrbringen von neuen Produkten als äußerst schwierig und entzieht sich der Planungssicherheit des Herstellers.

Für Hersteller ohne Benannte Stelle ist ein Marktzugang für neue Produkte versperrt, da Zertifizie-rungskapazitäten für Neuprodukte fehlen. Auch Hersteller mit einer Benannten Stelle stehen vor Herausforderungen: Aufgrund der zeitlich begrenzten Möglichkeit zur Überführung von Bestandsprodukten innerhalb der Übergangsfristen werden Ressourcen auf Seiten der Hersteller und der Benannten Stellen aktuell auf Bestandsprodukte verlagert, um die kontinuierliche Marktverfügbar-keit etablierter Therapien zu gewährleisten.

Im Übrigen stehen dadurch auch keine Ressourcen für Innovationen zur Verfügung. Um den Innovationsstandort Europa nicht zu verlieren, brauchen wir ein Fast-Track-Verfahren für Innovationen.

4. MDR: Verschiebung der Übergangsperiode

Es braucht mehr Zeit für die Umsetzung der oben genannten Lösungen und die Vorbereitung des Systems, z. B. durch die Verlängerung der Frist bis zum 26. Mai 2024 und/oder der Gültigkeit der Richtlinienbescheinigungen und/oder durch die Streichung des Enddatums 26. Mai 2025 für den "Abverkauf" von bereits in Verkehr gebrachten Richtliniengeräten.

5. IVDR: Klasse D-Produkte und Companion Diagnostics

Zukünftige Hochrisikoprodukte der Klasse D haben nach der Änderungsverordnung (EU) 2022/112 die kürzeste Übergangszeit bis zum Mai 2025 erhalten. Diese Produkte müssen jedoch das lang-wierigste (16-24 Monate) Konformitätsbewertungsverfahren durchlaufen. Viele Hersteller haben noch keine Benannte Stelle, die benötigten Referenzlaboratorien sind noch nicht benannt. Ähnliche Probleme ergeben sich bei den Companion Diagnostics (therapiebegleitende Diagnostika), für die beim Konformitätsbewertungsprozess die EMA zwingend notwendig ist, aber der Prozess derzeit noch nicht etabliert ist. Sollte die Diskrepanz zwischen kürzester Übergangszeit und langwierigstem Konformitätsbewertungsverfahren nicht aufgelöst werden, kann die Versorgungssicherheit der Patienten nicht gewährleistet werden.

In aller Kürze: Der Verband der Diagnostica-Industrie (VDGH) 

Der Verband der Diagnostica-Industrie (VDGH) vertritt als Wirtschaftsverband die Interessen von mehr als 100 in Deutschland tätigen Unternehmen mit einem Gesamtumsatz von 6,8 Milliarden Euro im Jahr 2022. Sie stellen Untersuchungssysteme und Reagenzien zur Diagnose menschlicher Krankheiten her, mit denen ein Umsatz von mehr als 3,5 Milliarden Euro erzielt wird, sowie Instrumente, Reagenzien, Testsysteme und Verbrauchsmaterialien für die Forschung in den Lebenswissenschaften, mit denen ein Umsatz von 3,3 Milliarden Euro erwirtschaftet wird.

www.vdgh.de

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