Positionspapier Jetzt implementieren: abwasserbasiertes molekularbiologisches Monitoring

Der VDGH spricht sich für die unmittelbare flächendeckende Implementierung des abwasserbasierten molekularbiologischen Monitorings aus, um zukünftige SARS-CoV-2-Infektionsausbrüche frühzeitiger zu erkennen.

Die Fachabteilung Life Science Research (LSR) im Verband der Diagnostica-Industrie e.V. (VDGH) unterstützt die von der EU-Kommission vorgeschlagene Implementierung von molekularbiologischen Abwasseranalysen in die nationalen Teststrategien (1) und stimmt mit den Erkenntnissen des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages (2) überein: Molekularbiologische Analysen von Abwasserproben mittels PCR und Sequenziertechniken eignen sich als dauerhaftes epidemiologisches Frühwarnsystem. 

So lassen sich Fallzahlen von symptomatischen sowie asymptomatischen Verläufen ganzheitlich und frühzeitiger erfassen und auch Virusvarianten nachverfolgen. Die Mitgliedsunternehmen des VDGH stehen mit innovativen Technologien zur Unterstützung des Pandemiemanagements bereit.


Erklärung:

1. Frühwarnsystem

SARS-CoV-2 lässt sich im kommunalen Abwasser nachweisen, denn infizierte Personen scheiden das Virus aus (3). Im Vergleich zu den Meldezahlen aus dem öffentlichen Gesundheitsdienst stehen abwasserbasierte Daten bereits fünf bis zehn Tage früher zur Verfügung (4). Aus den Analyseergebnissen lassen sich das Infektionsgeschehen und die vorhandenen Varianten des Erregers innerhalb des Abwassereinzugsgebietes, und damit innerhalb der Bevölkerung, abbilden. Individuelle Persönlichkeitsrechte werden gewahrt, aber der Schutz der Bevölkerung erhöht. 


2. Langzeitmonitoring

Eine heutige Implementierung der molekularbiologischen Abwasseranalyse ist eine Investition in die Zukunft, denn SARS-CoV-2 wird sich wahrscheinlich zu einem endemischen Erreger entwickeln (5). Neben der Überwachung des aktuellen Pandemieverlaufs erlauben molekularbiologische Anwendungen auch die vielfältige Detektion von bekannten mutierten Erregern, anderen Krankheitserregern oder auch intrinsischen Erregereigenschaften, wie z. B. eine Antibiotikaresistenz bakterieller Erreger (6).

Molekularbiologische Abwasseranalysen können als nachhaltige Präventions- maßnahme etabliert werden und die Gesundheit der Bevölkerung vor verschiedenen Erregern schützen. Dies entlastet das Gesundheitssystem und spart Kosten. 


Gründe:

3. Inklusion von asymptomatischen Verläufen erweitert Umfang der Fallzahlen

Asymptomatische Krankheitsverläufe werden in der aktuellen Teststrategie u. a. durch die Bürgertestung erfasst. Die dort verwendeten Antigen-Schnelltests konnten laut einer Studie der Universität Bonn das Infektionsgeschehen maßgeblich eindämmen (7).

Aktuell gehen diese individuellen Testungen durch Lockerung der Pandemiemaßnahmen zurück. Zusätzlich kann die Zahl der asymptomatisch Erkrankten durch die stetig steigende Impfrate zunehmen. Diese wachsende Lücke der Fallzahlerfassung kann durch Abwasseranalysen geschlossen werden: Die abwasserbasierte Epidemiologie liefert einen Hinweis auf die Dunkelziffer und ist aus diesem Grund besonders für Zeitphasen niedriger Prävalenz aber auch nach Erreichen der Herdenimmunität ein sinnvoller Baustein zur ganzheitlichen Fallzahlerfassung. 


4. Individuelle Testungen bei erhöhter Inzidenz in Abwasserproben hochfahren

Die Analyse von Abwasserproben kann eine erneut ansteigende Inzidenz frühzeitig erkennen und individuelle Testungen (wie PCR-Tests oder Antigen-Schnelltests) lassen sich in der Bevölkerung regional gezielt einsetzen, um neue Infektionsherde schnell einzudämmen. Dieser gezielte Einsatz von individuellen Testungen spart Ressourcen.

Abwasseranalysen sind darüber hinaus auch für Gegenden mit limitierter klinischer oder labormedizinischer Kapazität geeignet. 


5. Langfristige Kosteneinsparung trotz flächendeckendem Monitoring

Die Implementierungskosten für die molekularbiologische Analyse von Abwasserproben in einer Kläranlage belaufen sich laut einem aktuellen Memo der EU- Kommission auf etwa 25.000 € pro Jahr (8). Diese Investitionen decken eine regelmäßige Überwachung innerhalb einer Kläranlage ab. Darüber hinaus sind sie eine Investition in die Zukunft, denn molekularbiologische Methoden sind vielfältig einsetzbar.

Umsetzungsstrategien:

6. Flexible Anpassung der nötigen Assays – Erregerspezifische Modifikation schnell und einfach möglich

Für molekularbiologische Methoden benötigt man Reagenzien, Assays und Geräte: Geräte sind Einmalinvestitionen mit einer langen Lebenszeit; Assays werden passgenau an den nachzuweisenden Erreger angepasst. Die zeitnahe Modifikation dieser Assays ermöglicht so auch ein schnelles Anpassen an mutierte Erreger oder neue Erreger oder neue Sachverhalte (z. B. Antibiotikaresistenz bakterieller Erreger) (9, 10, 11).

Nukleinsäureamplifikationstechniken wie die RT-qPCR (Real time quantitative PCR) oder die dPCR (digital PCR) leisten einen quantitativen Nachweis von SARS-CoV-2.

Nukleinsäuresequenziertechniken wie NGS (Next Generation Sequencing) oder Deep Sequencing können das Erbgut des Erregers auf Mutationen überprüfen und somit Varianten aufspüren (12). 


7. Aus der Forschung in die Anwendung

Das BMBF hat das Potenzial der abwasserbasierten Epidemiologie bereits erkannt und unterstützt u. a. die Projekte COVIDready oder CoroMoni, was der VDGH begrüßt.

Internationale Forschungsergebnisse zusammengenommen lässt sich bereits heute schlussfolgern, dass die wissenschaftliche Expertise hervorragend ist und die flächendeckende Anwendung der nächste Schritt sein sollte. Die Empfehlung der EU- Kommission EU 2021/472 sowie zahlreiche andere Studien benennen Standards, die von einzelnen Kläranlagen bereits genutzt werden (1, 13).
 

8. Abwasserbasierte Epidemiologie als Management-Tool für Maßnahmen integrieren

Aktuell besteht in Deutschland nur ein schwaches Infektionsgeschehen. Im Herbst 2021 können durch das Nichterreichen der Herdenimmunität (Impfung) und durch Erregervarianten allerdings neue Infektionswellen ausgelöst werden.

Bemessungsgrundlage der Fallzahlen sind bislang die Meldedaten der Gesundheitsämter. Epidemiologische Daten aus Abwasseranalysen können die Fallzahlermittlung sehr gut erweitern, da sie das Infektionsgeschehen mehrere Tage früher erkennen als die medizinisch erfassten Daten. Aus diesem Grund benötigt Deutschland jetzt eine Datenanalyse und Modellierung aus medizinisch erfassten und abwasserbasierten Fallzahlen, die in einem Überwachungsmonitor bzw. „Dashboard“ zusammengefasst werden sollten.

In den Niederlanden fließen entsprechende Daten bereits in die Behördenentscheidungen ein (14). In Deutschland gibt es erfolgreiche regionale Pilotprojekte in einzelnen Kommunen. Ziel sollte es nun sein, ein deutschlandweites Dashboard zu implementieren.

Die Mitgliedsunternehmen des VDGH stehen mit ihrer Expertise und dem innovativen Produktportfolio bereit, um ein zuverlässiges Abwassermonitoring in Deutschland zu unterstützen.

Referenzen:

(1) https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=CELEX:32021H0472

(2) Cordula Seeger (2021). WD 8 – 3010-059/21
https://www.bundestag.de/resource/blob/848440/484417db3669d04d1980cadb380de056/Abwasse r-Covid-19-data.pdf

(3) Westhaus, Weber et al. (2020). Science of The Total Environment, Vol. 751, 2021.
https://doi.org/10.1016/j.scitotenv.2020.141750

(4) Agrawal et al. (2021)a. Sci Rep 11, 5372 (2021). 
https://doi.org/10.1038/s41598-021-84914-2

(5) Lavine et al. (2021). Science, Vol. 371, Issue 6530, pp. 741-745. 
DOI: 10.1126/science.abe6522

(6) https://de.dwa.de/de/archiv- fi.html?file=files/_media/content/PDFs/Stabsstelle_Forschung_und_Innovation/BJ/21_Antibiotikaresist enzen-201403.pdf

(7) Gabler et al. (2021). ECONtribute Discussion Paper No. 100.
https://www.econtribute.de/RePEc/ajk/ajkdps/ECONtribute_100_2021.pdf 

(8) https://ec.europa.eu/environment/water/water- urbanwaste/info/pdf/Waste%20Waters%20and%20Covid%2019%20MEMO.pdf

(9) Hellmer et al. (2014). Appl Environ Microbiol. 2014 Nov, 80 (21), pp 6771–6781.
DOI: 10.1128/AEM.01981-14

(10) Brouwer et al. (2018). PNAS, Vol. 115, No. 45.
DOI: 10.1073/pnas.1808798115 

(11) Jahne et al. (2020). Water Research, Vol. 169.
https://doi.org/10.1016/j.watres.2019.115213

(12) Agrawal et al. (2021)b. Microbiol Resour Announc. 2021 Apr; Vol. 10, No. 15.
https://doi.org/10.1128/MRA.00280-21

(13) https://www.cdc.gov/healthywater/surveillance/wastewater-surveillance/testing- methods.html?CDC_AA_refVal=https%3A%2F%2Fwww.cdc.gov%2Fcoronavirus%2F2019- ncov%2Fcases-updates%2Fwastewater-surveillance%2Ftesting-methods.html 

(14) https://coronadashboard.government.nl/landelijk/rioolwater
 

In aller Kürze: Der Verband der Diagnostica-Industrie (VDGH) 

Der Verband der Diagnostica-Industrie (VDGH) vertritt als Wirtschaftsverband die Interessen von mehr als 100 in Deutschland tätigen Unternehmen mit einem Gesamtumsatz von 6,8 Milliarden Euro im Jahr 2022. Sie stellen Untersuchungssysteme und Reagenzien zur Diagnose menschlicher Krankheiten her, mit denen ein Umsatz von mehr als 3,5 Milliarden Euro erzielt wird, sowie Instrumente, Reagenzien, Testsysteme und Verbrauchsmaterialien für die Forschung in den Lebenswissenschaften, mit denen ein Umsatz von 3,3 Milliarden Euro erwirtschaftet wird.

www.vdgh.de

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