Handlungsempfehlungen GenomDE erfolgreich umsetzen – Potenzial vollständig ausschöpfen

Der VDGH schlägt zusammen mit BioDeutschland fünf Handlungsempfehlungen vor, um das Modellvorhaben Genomsequenzierung nach § 64e SGB V weiterzudenken.

Executive Summary

Die Biotechnologie-, Diagnostika- und Life-Science-Research-Industrie begrüßen das Modellvorhaben Genomsequenzierung nach § 64e SGB V, welches mit dem Gesetz zur Weiterentwicklung der Gesundheitsversorgung (GVWG) im Jahr 2021 verabschiedet wurde und zum 01. Januar 2024 in das deutsche Gesundheitssystem eingeführt wird. Dadurch können einerseits Patientinnen und Patienten von hochmoderner Genommedizin profitieren und bedarfsgerecht behandelt werden. Andererseits können qualitativ hochwertige Genomdaten in Deutschland erschlossen und zugänglich gemacht werden, was den Biotech- und Pharma- sowie Life-Science- und Diagnostik-Standort Deutschland international wettbewerbsfähiger und attraktiver macht.

Allerdings könnte das Innovationspotenzial des Modellvorhabens und des übergeordneten Projektes genomDE noch besser ausgeschöpft werden: Zum einen durch eine stärkere Inklusion der ambulanten Leistungserbringer und zum anderen durch eine Einbindung von technologisch wichtigen Akteuren in die Entscheidungsprozesse des Projektes: die industrielle Gesundheitswirtschaft. Denn auch die Ampelkoalition hat in ihrem Koalitionsvertrag (2021, S. 24) die innovative Gesundheitswirtschaft als Grundlage des weiteren medizinischen Fortschritts erkannt – das darf bei keinem Vorhaben außen vor bleiben. In einem partizipativen Gesundheitssystem, bei dem Silos abgebaut werden, sollten innovative Konzepte wie das Modellvorhaben Genomsequenzierung entsprechend nicht ohne die Beteiligung der wirtschaftlichen Innovationstreiber geführt werden.

Um den größten Nutzen aus dem Vorhaben zu ziehen, sollten die gewonnenen Daten in rechtskonformer Art auch für die Optimierung und Weiterentwicklung von Medizinprodukten und Arzneimittel zur Verfügung stehen. Deshalb sollten die geplanten Gesetzesvorhaben zur Gesundheitsdatennutzung und Registerdaten die zweckgebundene Forschung an den Daten durch alle Akteure, d. h. auch durch die industrielle Gesundheitswirtschaft, ermöglichen.

Einführung

Die Genommedizin ermöglicht es, Diagnosen schneller und präziser zu stellen und unterstützt die Ärztinnen und Ärzte bei der Auswahl der optimalen Präventionsmaßnahmen und Therapien. Man spricht dann von einer personalisierten Medizin. Die Genommedizin wird bereits heute in Deutschland erfolgreich eingesetzt. Weit mehr als 6.000 verschiedene Seltene Erkrankungen, wie zum Beispiel verschiedene angeborene Immundefekte, können mithilfe von Genomsequenzierungen heute diagnostiziert werden. Auch bei der Therapiewahl kommen immer öfter Gentests zum Einsatz. Denn das individuelle Erbgut des Menschen, aber auch individuell erworbene Mutationen (genetische Veränderungen) eines Tumors, können darüber entscheiden, ob eine medikamentöse Therapie anschlägt oder nicht bzw. ob eine Therapieanpassung er-folgen muss, um unerwünschte Nebenwirkungen zu vermeiden. Auch bei einigen der seltenen genetischen Erkrankungen können die Auswirkungen der krankheitsursächlichen Genmutationen heutzutage bereits zielgerichtet behandelt werden. Rund 200 Arzneimittel stehen dafür heute zur Verfügung und hunderte Wirkstoffe werden zurzeit klinisch geprüft. Auch hat sich die Infrastruktur der Versorgung in den letzten Jahren erheblich verbessert. Zudem verfügt Deutschland über eine hoch innovative Diagnostika-, Life-Sci-ence-Research- und Biotechnologie-Industrie, die leistungsstarke und hochsensitive Analysemethoden im Bereich der genetischen Diagnostik bereitstellen. Die Verfahren zur Hochdurchsatz-Analyse von DNA (Next Generation Sequencing), die in der modernen genetischen Diagnostik häufig zur Abklärung genetisch bedingter Erkrankungen zum Einsatz kommen und Grundlage für das Modellvorhaben sind, werden stetig optimiert und erreichen damit eine verbesserte Präzision und Geschwindigkeit bei gleichzeitig sinkenden Kosten. Das schafft die Grundlage für die breite Anwendung dieser und ähnlicher Technologien in der Regelversorgung.

Das Modellvorhaben nach § 64e SGB V leistet somit einen signifikanten Beitrag zur Verbesserung der Ver-sorgung im Bereich seltener und onkologischer Erkrankungen und ist daher grundsätzlich zu begrüßen. Und getreu dem Motto „Daten helfen heilen“ stellen auch die aus dem Modellvorhaben gewonnenen genomischen Daten eine große Bereicherung für die medizinische Forschung und die zukünftige Gesundheitsversorgung in Deutschland dar. Dies stärkt den Forschungs- und Innovationsstandort Deutschland und schützt vor abwandernder Expertise ins europäische Ausland oder in die USA. Allerdings sehen wir in der momen-tanen Struktur des Modellprojektes Verbesserungspotenzial und setzen uns – mit Blick auf eine schnelle optimale flächendeckende Patientenversorgung – für die Umsetzung der nachfolgenden Maßnahmen ein.

Handlungsempfehlungen

Den Kreis der Leistungserbringer erweitern

Alle Sequenzierungstechnologien erfordern umfangreiche Expertise in Anwendung und bioinformatischer Auswertung. In Deutschland ansässige molekulardiagnostische Labore des ambulanten Sektors verfügen darüber gleichermaßen wie die Universitätskliniken. Um diese weltweit einzigartige und hochqualitative Laborinfrastruktur zu erhalten, sollten auch die hochkompetenten und qualitätsgesicherten ambulanten Molekulardiagnostiklabore in das Modellvorhaben integriert werden. Dazu müssen die Qualitätskriterien zur Eingrenzung der teilnahmeberechtigten Leistungserbringer so definiert werden, dass medizinische und technologische Kompetenz in Sequenzierungstechnologien, Kapazitäten und Anschlussfähigkeit an bestehenden Klinikstrukturen im Vordergrund stehen. Auf diese Weise wird nicht nur die Patientenversorgung flächendeckend verbessert, sondern auch sichergestellt, dass sich die molekulardiagnostische Fachkompetenz einheitlich, unabhängig von Sektorengrenzen, weiterentwickelt.

Innovationskraft durch Beteiligung privatwirtschaftlicher Akteure stärken

Das aktuelle Steuerungsgremium besteht aus 14 nationalen vorwiegend akademischen Initiativen und Verbünden aus den Bereichen Onkologie, Seltene Erkrankungen sowie Patientenvertretungen und der Medizininformatik-Initiative, Vertreter der Universitätskliniken, Netzwerke für genomische Medizin und öffentliche Forschung (Fraunhofer, etc). Jedoch ist für das optimale Zusammenspiel von Innovation, Technologieentwicklung und Einzug in die Versorgung die frühe Einbindung von Partnern aus der privaten Forschung unerlässlich. Neben einer exzellenten akademischen Landschaft sind gerade in Deutschland leistungsfähige Forschungs- und Entwicklungszentren privatwirtschaftlicher Akteure angesiedelt. Durch Kooperationen wie Public Private Partnerships (öffentlich-private Partnerschaften, PPP) kann eine raschere Translation, zum Beispiel im Bereich Datenstandards, Qualitätsstandards, Schnittstellen, Sequenzierungstechnologien sowie KI ermöglicht werden. Deshalb befürworten wir die Etablierung von PPP im Kontext von genomDE, um die volle Ausschöpfung des Innovationspotenzials sicherzustellen. Vor diesem Hintergrund muss die Expertise der industriellen Gesundheitswirtschaft stärker berücksichtigt und in einem der beratenden Gremien integriert werden. Denn die privaten Akteure leisten einen wichti-gen Beitrag beispielsweise bei der gemeinsamen Weiterentwicklung von Standards für Datenformate und Interoperabilitätsmerkmale. Zudem stellen sie die Anschlussfähigkeit an die industrielle Forschung sicher, wodurch gewährleistet wird, dass Innovationen schnellstmöglich bei den Patientinnen und Patienten ankommen.

Die Kapazität für Sequenzierung und Speicherung von Genomdaten europaweit erhöhen

Im Januar 2020 erfolgte der Beitritt Deutschlands als 21. EU-Mitgliedstaat in die EU-Genom-Initiative „1+ Million Genomes“1, die sich zum Ziel gesetzt hat, über eine Million Genome zu sequenzieren und damit die Gesundheitsversorgung zu verbessern. Gerade bei Seltenen Erkrankungen reichen die regional oder national vorhandenen Patientenzahlen oft nicht für aussagekräftige wissenschaftliche Untersuchungen aus. Aber auch für andere Erkrankungen gilt: Je mehr Daten zur Verfügung stehen, desto besser und belastbarer sind die Erkenntnisse. Durch die europäische Initiative sollen deshalb Daten europaweit systematisch zusammengeführt werden – unter der strengen Beachtung von Datenschutz und Datensicherheit.

Den Zugang zu medizinischen Daten bundesweit einheitlich gewähren

Damit Gesundheitsdaten gemeinsam vertrauensvoll verwendet werden können, braucht es klare und ver-lässliche Rahmenbedingungen. Dazu gehört, die Rechte für die Nutzung von anonymisierten Gesundheitsdaten unter Beachtung der Anforderungen an Datenschutz und -sicherheit bundesweit einheitlich zu regeln und den Zugang zu den aus dem Modellprojekt resultierenden Genomdaten zusammen mit den dazugehörigen klinischen Daten, unter streng geregelten Voraussetzungen, auch den Unternehmen der industriellen Gesundheitswirtschaft zu gewähren. Das angekündigte Gesundheitsdatennutzungsgesetz muss den Grundstein dafür legen, damit auch die Daten aus genomDE von der Industrie vertrauensvoll für die biopharmazeutische und biotechnologische Forschung genutzt werden können. Nur so lassen sich innovative Medizinprodukte und Arzneimittel stetig weiter optimieren, was Entwicklungszyklen beschleunigt und die Gesundheitsversorgung der Patientinnen und Patienten deutlich verbessert.

Deutsche Referenzgenom-Datenbank einrichten

Eine erweiterte deutsche Referenzgenom-Datenbank, die die Zusammensetzung der Bevölkerung widerspiegelt, ist ein leistungsfähiges Instrument zum Verständnis der biologischen Funktion der genetischen Variation innerhalb des Landes. Daten zur Populationshäufigkeit von Genvarianten (Allelen) haben ein großes Potenzial zur Verbesserung der Varianteninterpretation, so dass die seltenen Varianten, die mit größerer Wahrscheinlichkeit die Ursache von genetischen Störungen sind, von den Millionen häufiger und weitgehend gutartiger Varianten unterschieden werden können, die in jedem menschlichen Genom vorhanden sind. Die meisten bestehenden Bevölkerungsdatenbanken liefern keine phänotypischen Informationen über die eingeschlossenen Personen und sind selten eine Sammlung von gesunden Personen. Das ist eine große Lücke in Deutschland. Deutschland hat mit der NAKO Gesundheitsstudie2 und der Hamburg City Health Study (HCHS)3 Zugang zu solchen Kohorten und damit die besten Voraussetzungen, solche Daten zu erfassen und im Zuge des Modellprojekts kontinuierlich zu erweitern. Mit der Einrichtung einer nationalen Referenzgenom-Datenbank kann Deutschland zu einem führenden Land in der Genommedizin werden.

Ansprechpersonen

Dr. Carolin Schächterle
Leiterin Fachabteilung Life Science Research
Tel: +49 30 200599-46
schaechterle@  avoid-unrequested-mailsvdgh.de 

VDGH e. V.
Neustädtische Kirchstraße 8
10117 Berlin

Der Verband der Diagnostica-Industrie (VDGH) vertritt als Wirtschaftsverband die Interessen von mehr als 120 in Deutschland tätigen Unternehmen mit einem Gesamtumsatz von 6,8 Milliarden Euro im Jahr 2022. Sie stellen Untersuchungssysteme und Reagenzien zur Diagnose menschlicher Krankheiten her, mit denen ein Umsatz von mehr als 3,5 Milliarden Euro erzielt wird, sowie Instrumente, Reagenzien, Testsysteme und Verbrauchsmaterialien für die Forschung in den Lebenswissenschaften, mit denen ein Umsatz von 3,3 Milliarden Euro erwirtschaftet wird.

Denis Peikert
Referent Politik
Tel: +49 30 2332164-33
peikert@  avoid-unrequested-mailsbiodeutschland.org 

BIO Deutschland e. V.
Schützenstraße 6a
10117 Berlin

Die Biotechnologie-Industrie-Organisation Deutschland e. V. (BIO Deutschland) hat sich mit ihren mehr als 340 Mitgliedsfirmen zum Ziel gesetzt, in Deutschland die Entwicklung eines innovativen Wirtschaftszweiges auf Basis der modernen Biowissenschaften zu unterstützen und zu fördern.

In aller Kürze: Der Verband der Diagnostica-Industrie (VDGH) 

Der Verband der Diagnostica-Industrie (VDGH) vertritt als Wirtschaftsverband die Interessen von mehr als 100 in Deutschland tätigen Unternehmen mit einem Gesamtumsatz von 6,8 Milliarden Euro im Jahr 2022. Sie stellen Untersuchungssysteme und Reagenzien zur Diagnose menschlicher Krankheiten her, mit denen ein Umsatz von mehr als 3,5 Milliarden Euro erzielt wird, sowie Instrumente, Reagenzien, Testsysteme und Verbrauchsmaterialien für die Forschung in den Lebenswissenschaften, mit denen ein Umsatz von 3,3 Milliarden Euro erwirtschaftet wird.

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